

Yan Chuang fährt 10.500 km mit seiner Ducati Multistrada 1200 S von China nach Italien zur großen World Ducati Week.
Völlig entspannt steigt Yan Chuang aus dem Flugzeug. Er lässt seinen Blick von der Gangway über das Rollfeld streifen. Erst mal durchatmen. Ankommen. Die anderen Passagiere drängen sich ungeduldig an ihm vorbei. Zurück in Peking holen ihn gleich die übliche Hektik und Betriebsamkeit ein, die er nur zu gut kennt. In seinem Beruf als Journalist kommt er zwar sonst auch viel herum, doch eigentlich mag Yan es eher entschleunigt. Er sucht persönliche Herausforderungen und liebt die Einzigartigkeit. Wege gehen, die kein anderer geht, das ist sein Ding. Mit einem Linienflug von Europa nach China fliegen, wie es unzählige Menschen jeden Tag tun, eher weniger. „Viel zu gewöhnlich, nichts Besonders“, sagt er in einem schon fast gelangweilten Ton.
Seine Leidenschaft: Ducati und Außergewöhnliches
Rückblende: Es ist Anfang Juni und über Ürümqi, einer chinesischen Millionenstadt am Nordfuße des Tianshan-Gebirges, brütet die Sonne. Yan steht an seiner voll bepackten Ducati Multistrada 1200 S. Der rote Lack blitzt im Sonnenschein und die Maschine macht den Anschein, als wäre sie gerade poliert worden. Schweißperlen laufen über Yan’s Stirn. Ungeduldig legt er die Jacke seiner schwarzen Motorradkleidung ab und fächert sich mit seinem Handschuh Luft zu.



Ob er weiß, dass Ürümqi mit mehr als 2.000 Kilometern die am weitesten vom Meer entfernte Großstadt der Welt ist, bleibt sein Geheimnis. Strategisch war es allerdings sinnvoll, die nur 300 Kilometer vom eurasischen Unzugänglichkeitspol entfernte Stadt als Ausgangspunkt für seinen großen Traum zu wählen. Seit Jahren unternimmt der Ducati-Fan ausgefallene Touren, um seine Leidenschaft für die italienischen Motorräder auszuleben. Seine Liebe zur Marke ist so groß, dass ihm sein Engagement als Präsident des D.O.C-Beijing (Demso Owners Club) nicht genug ist.
Das Highlight für den Ducatista: die World Ducati Week
Zum 90. Geburtstag von Ducati suchte Yan deshalb eine besonders Herausforderung. Für jeden Ducatista sei die World Ducati Week ein absolutes Highlight, erklärt er. „Keine Frage, dass ich im Jubiläumsjahr teilnehmen muss – auch wenn China weit weg von Italien ist. Aber die weite Entfernung bietet viel Platz für große Träume. Und meiner war es, mit einer Ducati nach Misano zur World Ducati Week zu fahren.“
Seine angespannte und ungeduldige Miene verwandelt sich in ein breites Lächeln, als er zu seinen Mitstreitern blickt. Drei gute Freunde, die mit ihm im Jahr zuvor bereits durch Tibet fuhren, begleiten ihn auch dieses Mal. Ein abenteuerbegeisterter Ex-Soldat, ein erfolgreicher Geschäftsmann und Besitzer von drei Ducati Motorrädern und ein Ducati-Verkäufer sind die Mitglieder der vielseitigen Gruppe um Yan Chuang.
Nachdem sich alle entschlossen abgeklatscht haben, zieht Yan seine Jacke an, zwängt seinen Kopf in den Helm und startet den Motor seiner Multistrada. Hupend und voller Begeisterung steht Yan aufrecht auf seinem Motorrad. Als ob er sein Glücknicht fassen kann, seinen Traum wirklich zu leben.



Kilometer um Kilometer ziehen die schier endlosen und verlassenen Straßen an ihnen vorbei. Aus asphaltierten Straßen werden steinige Feldwege und die Gruppe scheint sich in einer Landschaft mit unzähligen Bergen zu verlieren. An der kasachischen Grenze wird die Gruppe plötzlich von Polizisten gestoppt. Die uniformierten Männer deuten auf die Motorräder. Ihre Taschen sollen sie auch noch leeren. Ein Polizist winkt wild gestikulierend weitere Kollegen herbei und eine heftige Diskussion bricht aus.
Vorzeitiges Ende der Ducati Dreamtour?
Yan wird klar, worauf die Grenzkontrolleure aus sind, die mit großen Augen ihre Motorräder, Kleidung und Smartphones begutachten. Er blickt seine Freunde ungläubig an. „Nichts sagen, tut einfach so, als ob ihr sie nicht versteht“, ruft Yan ihnen auf Chinesisch zu. Er schaut die Polizisten an und schüttelt den Kopf. Die versuchen es unterdessen mit russischer Sprache.
Weiterhin großes Kopfschütteln. „Beschlagnahmung, Beschlagnahmung“, bellt einer der Polizisten auf Englisch. Doch die vier Motorradfahrer geben weiterhin vor, nichts davon zu verstehen. Die Beamten diskutieren noch lauter. Yan sieht seine Dreamtour schon an der kasachischen Grenze platzen. Doch nach endlosen Minuten des Hoffen und Bangens darf die Gruppe schließlich fahren – und der Traum geht weiter.

Drei gute Freunde, die mit Yan Chuang im Jahr zuvor bereits durch Tibet fuhren, begleiten ihn auch dieses Mal.
In der Hoffnung, nicht wieder in eine solche Situation zu geraten, versuchen die vier Ducatisti den neuntgrößten Staat der Erde schnellstmöglich zu durchqueren. Die fast 4.300 anspruchsvollen Kilometer bis Russland überstehen sie ohne den weiteren Versuch einer Beschlagnahmung. In Moskau dann endlich ein erster gelassener Zwischenstopp bei Freunden. Die städtische Ducati Niederlassung erwartet die Gruppe schon sehnsüchtig.
10.500 Kilometer von China nach Italien
Im Showroom werden die Maschinen wieder auf Vordermann gebracht und für den Rest der Reise vorbereitet, bevor es in Richtung Finnland geht. Dort angekommen, ist es für die vier Chinesen wie das Einlaufen in einen sicheren Hafen. Es folgen entspannte Tage durch Europa: Von Schweden über Dänemark, Deutschland und Österreich nach Italien zur Adriaküste. Jede Sekunde eine einzigartige Erfahrung für die Männer aus dem Reich der Mitte.

Bei der Tour ist vor allem eines gefragt: Sitzfleisch. Das Lachen vermiest das Yan Chuang aber nicht.
Auf dem Weg zur World Ducati Week werden es immer mehr Ducatisti auf den Straßen. Eskortiert von anderen Ducati-Fahrern, treffen Yan und seine Freunde an ihrem Ziel ein. Sie haben es geschafft. 10.500 Kilometer von Ürümqi nach Misano zur World Ducati Week. Einen Monat Fahrzeit durch acht Länder. Unvergessliche Eindrücke, herausfordernde Bedingungen durch verschiedenste Landschaften mit Bergen und Wüsten, Staub und Matsch, Hitze und Kälte, peitschendem Regen und sengender Sonne.
Eine einzigarte Reise, die tausende Ducatisti auf der World Ducati Week frenetisch feiern, als die vier abenteuerlustigen Chinesen auf die Bühne gerufen werden. Yan genießt diesen Moment. Einen Moment voller Anerkennung, Respekt und Ehrfurcht. Er atmet tief durch, bevor er die Bühne verlässt und sich in das Besuchermeer stürzt. Dann ist er wieder einer von vielen, mit seinem roten Outfit. Die rote Ducati-Kappe, das rote Hemd des Ducati MotoGP-Rennteams und die roten Shorts sind auf der World Ducati Week nichts Besonderes. Wenig einzigartig könnte man denken – doch diesmal war genau das seine Absicht.
Der Beitrag Ducati Dreamtour erschien zuerst auf Audi Blog.